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tintenblau

schmerzlich schön

Die blaue Stunde erlebte ich hautnah am 20.06.2020. An dem Abend war ich schweren Herzens das erste Mal nach dem Lock down wieder auf einem Livekonzert. Die knapp 40 Gäste der Fischhalle Harburg saßen in gebührendem Abstand auf der Terrasse verteilt auf den ihnen zugewiesenen Plätzen, die nicht verschoben werden durften, um die Corona-Auflagen zu erfüllen.

Es hatte mich Überwindung gekostet, zu der Veranstaltung zu gehen, obwohl ich mich auf die Musik von Werner Pfeifer und der Hafenbande freute, besonders auf “Das eine Lied, das mich auf Händen trägt” und “The longer the waiting, the sweeter the kiss”. Aber in meiner derzeit desolaten Verfassung bin ich menschenscheu – denn ich fühle mich verloren ohne mein Lachen. Ich vermisse den Elan und die Unbeschwertheit vergangener Tage.

Die helle, klare Stimme von Sabine Dreismann ließ mich vorübergehend alle Schwere vergessen. Sie trug mich bis in den siebten Himmel. “Gib´ mir ein Wunder!”, sang sie. Ich blickte aufwärts und sah ein sagenhaft intensiv leuchtendes Blau. „The longer the way“ gilt auch für das Dämmerlicht, das auf besondere Weise den Himmel nach Sonnenuntergang vor Eintritt der nächtlichen Dunkelheit färbt.

Die Überdachung bildete aus meiner Perspektive eine Diagonale, die das Rot der Bühnenbeleuchtung vom Firmament trennte. Ein wunderschönes Kontrastprogramm.

Hier unten warmherziges Licht und oben das tiefe Blau meiner Melancholie, denn ich fühlte mich abgeschnitten vom Puls der Zeit und als säße ich auf einer einsamen Insel. In Gesellschaft zwar, doch die reichte nicht an das heran, was ich mir an Nähe wünschte.

Mir kam das Bild von Papillon in den Kopf: ein tätowierter Schmetterling, der nicht auf und davon kann, nicht vor und nicht zurück. Sein Dasein wird festgehalten, gestochen scharf für einen ewigen Augenblick, die Flügel ausgebreitet unter einer atmungsaktiven Oberfläche.

Was mir unter die Haut ging, war wohl die Sehnsucht, wieder unbekümmert durch die Gegend zu fliegen.

 

 

unsicher

scheinbar unbedeutend?

Es entspricht einer tiefen Sehnsucht, von anderen gesehen und beachtet zu werden, doch es gehört auch allerhand Mut dazu, sich sichtbar zu machen und wahrhaftig zu zeigen.

Denn vielleicht erfahre ich nicht die gewünschte Resonanz, stoße auf wenig Verständnis oder bekomme keine Zustimmung. Vielleicht nimmt niemand Notiz von mir oder äußert sich kritisch, missbilligend oder gar verächtlich.

Und dann? Ich könnte mich verletzt in mein Schneckhaus zurückziehen, könnte aufgeben, woran ich zuvor fest glaubte und tatenlos dabei zusehen, wie sich etwas in Wohlgefallen auflöst, nur, weil es nicht ausreichend gut ankam.

Mag ich zulassen, dass Ignoranz oder Kritik so verheerende Folgen hat, dass sie etwas in mir zu vernichten vermag? Ich wünschte, nicht daran zu leiden, wenn das Interesse anderen Dingen gilt als denen, an denen mein Herz hängt.

Der Wert von Dingen wird oft am Beliebtheitsgrad gemessen und steigt in der Gunst des Publikums. Kann er auch ins Bodenlose sinken, wenn niemand hinschaut oder zuhört? Kann ich auch alleine schätzen oder brauche ich jemanden zum Teilen?

 

 

 

fruchtbar

Die Fantasie treibt Blüten.

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Wenn uns nach scheusslichem Winterwetter und langen, dunklen Tagen die Decke auf den Kopf zu fallen droht, erblüht die Sehnsucht nach Frühling. Wir möchten endlich wieder unser blaues Wunder erleben – oder auch grüne, gelbe und rote. Wir lauern schon auf erste Blumenampeln und können es kaum erwarten, alles neu zu bepflanzen, was eben noch nackt und kahl war.

In den Gartencentern geht es zu wie in emsigen Bienenkörben. Feil gebotene Frühblüher werden  gleich palettenweise abtransportiert. Balkonkästen wetteifern bald mit prall gefülltem Vorbau. Zurück an den Busen der Natur, heißt die Parole. Die Vögel pfeifen es als erste von den Dächern.

Krokusse leiten auch langsam die Kotelett-Saison ein. Würstchen platzen dann vor Neid, wenn ihnen ein leckeres, mariniertes Steak vorgezogen wird. Fleischeslust allenthalben.

Wenn die ersten Frühlingstage zu übermütigem Treiben verlocken und verführen, kann man sich auch mal die Zeit im Bett vertreiben. Denn die erste Grippewelle ist so gewiss wie Eier zu Ostern.