Zeitmanagement

Fahrpläne lassen sich nur ungerne kontrollieren.

ICE

Es ist zwar schon über einen Monat her, dass ich recht zwanglos Zug um Zug unterwegs war, doch meine Erlebnisreise von Hamburg in die Nähe von Frankfurt war so zeitlos spannend und ungewöhnlich profan, dass ich davon berichten möchte.

Nur einem Zufall war es zu verdanken, dass ich nicht schon den ersten Einstieg verpasste, denn der ICE hatte – jetzt aufgepasst! – eine gute Stunde Verfrühung!

Die Deutsche Bahn liefert immer wieder neue Erlebnisse rund ums Reisen, bietet unverbindlich kleine und große Herausforderungen und wartet immer mal wieder mit abenteuerlichen Touren auf, um einen aus dem Alltagstrott zu reißen.

Ich war einen Tag vor der Abfahrt am Bahnhof, weil ich noch etwas nachfragen wollte und erfuhr bei dieser Gelegenheit, dass der Zug vorverlegt wurde, weil auf dem Streckenabschnitt Gleisarbeiten durchgeführt werden und daher eine längere Fahrzeit eingeplant werden muss. Damit der Zug dann keine Verspätung hat, fährt er früher los.

Ich freute mich über mein unverschämtes Glück, dass ich rechtzeitig von der Fahrplanänderung Kenntnis nehmen konnte. Beim ersten Umsteigen hatte der Anschlusszug dann allerdings 50 Minuten Verspätung – das kam dann wieder in etwa auf das gleiche heraus, wenn man die Verspätung mit der Verfrühung verrechnen könnte. Kann man aber nicht.

Abgesehen von dem Umstand, dass ich natürlich früher aufstehen musste, hatte sich meine Reisezeit verlängert, nämlich Verfrühung + Verspätung. Man muss kein Mathe-Genie sein, um zu registrieren: Minus mal Minus ergibt Plus.

Durch diese unplanmäßige Verspätung hatte ich dafür Gelegenheit, eine weitere Sehenswürdigkeit zu bemerken, auch wenn diese akustischer Natur war. Ich verließ den Umsteigebahnhof, um mir die Zeit zu vertreiben, die die Bahn mir geschenkt hatte. Ich schlenderte auf dem Vorplatz herum und hörte Underground-Musik, die aus einem Gulli kam.

Richtig gehört. Aus einem Gullideckel drangen südamerikanische feurige Rhythmen. Ich traute Augen und Ohren nicht. Wie war das möglich? Hatte man dort eine Kombo in Ketten gelegt und zwang sie, ihre Unterhaltungsmusik für die Oberschicht zu spielen? Oder hörte sich so die Hölle an? Dann nichts wie hin…

Das ganze klärte sich auf. Unterhalb des Bahnhofes war eine Shoppingmall und der Schall der Musik aus einem Café hatte seinen Gehörgang durch den Gullideckel genommen. Trotz der profanen Erklärung war es ein nachdrückliches Erlebnis des Staunens. Ich bin wirklich leicht zu beeindrucken.

Von der Rückfahrt, die mit einer 40 minütigen Verspätung da weitermachte, wo sie auf der Hinfahrt aufgehört hatte, möchte ich auch noch kurz (?) erzählen. Ein Ersatzzug ersetzte den eigentlich vorgesehenen. Außer einer anderen Zugnummer und der späteren Abfahrt sollte alles laut mehrmaliger Auskunft des Bahnpersonals (!) und der Anzeigetafeln beim alten bleiben.

Aber knapp daneben, ist auch vorbei. Der Zug vor auf einem anderen Gleis ein – und die dichtgedrängten Menschen, die genauso vertrauensvoll wie ich am falsch vorhergesagten Gleis gewartet hatten, hatten nicht eiligeres zu tun, als noch rechtzeitig hinzuwetzen, mit Sack und Pack, Kindern in der Karre oder auf Schultern und Hüften, Jung und Alt, alles war auf den Beinen, sofern sie laufen konnten.  Es war das reine Chaos.

Auf dem richtigen Gleis angekommen, stürmten wieder alle ins erstbeste Abteil, bevor der Zug sie ratlos zurücklassen konnte, denn Verspätung hin, Verspätung her – wenn der Anpfiff kommt, geht´s los. Rette sich in den Zug, wer kann!

Auf die Plätze (schwierig) – fertig (außer Atem) – los!

Der erste Wagen war 1. Klasse, der zweite Wagen war 1. Klasse, der dritte Wagen war 1. Klasse, der vierte Wagen war voll, dann kam noch mal eine 1. Klasse und wieder eine 2. volle – und dann kam die Lok bzw. noch ein leeres Abteil für Fahrräder mit Klappsitzen, frischer Luft und unverstelltem Breitband-Panorama-Blick, sowohl seitlich als auch nach Vorne raus.

Etwa  zwei Stunden später kam eine Lautsprecherdurchsage, dass es in dem Ersatzzug 1. kein Bordrestaurant gäbe (ich gedenke an dieser Stelle Torsten Sträter, der dazu einen sehr tollen Text verfasst hat) und 2. keine Sitzplatzreservierung  und alle freien Sitzplätze genutzt werden sollten. Ich hatte jedoch keinerlei Veranlassung, meinen Platz in der ersten Reihe aufzugeben.

Bahnfahren macht immer wieder Freude und mobil in Momenten, in denen man gar nicht damit rechnet. Besonders flexibel mussten diejenigen sein, die unterwegs erfuhren, dass ihr Anschlusszug leider nicht auf sie warten kann. Und einige wenige, die eigentlich an Zielbahnhöfen aussteigen wollten, an denen der Zug nun doch nicht hielt. Dafür bekamen sie zum Sparpreis die Gelegenheit ganz neue Orte für sich zu entdecken .

Ich sag´s ja: Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erleben!

4 Gedanken zu „Zeitmanagement“

  1. Ich habe wieder so richtig Lust aufs Reisen mit dem Zug bekommen so wie damals zu Pfadi-Zeiten…

    Nur weg hier.

    Im Augenblick ist das Fernweh größer als das Heimweh.
    Aber Heimweh habe ich nach meiner Heimat, dem Rheinland. Nicht nach dem Norden, wo ich wohne.

    Das ist irgendwie der Unterschied: In Hamburg kann ich wohnen, was nicht jeder von sich behaupten kann, im Rheinland kann ich leben. Früher konnte ich nur überleben, aber auch das ist schon eine prima Sache, wenn man es für sich betrachtet.

    Verzeih, ich schweife schon wieder aus und ab.

    Mit Dir zusammen müsste ich mal mit der Bahn reisen, Sonja. Stell Dir das mal vor: Wir erzählen stundenlang und Du lässt dich von vorbeifahrenden Bahnhöfen draußen vor dem Fenster beeindrucken, während ich den gesamten Wagon mit dem ein oder anderen Schwank aus meinem Leben unterhalte – besser noch, wir gemeinsam im Wechsel.

    Wär das was?
    Behalte ich mal im Hinterkopf für den nächsten Schreibwettbewerb zum Thema Bahnreisen. Da wirst Du Dich noch wundern, wohin wir gereist sein werden und wie hübsch Du Dich dabei entblättert hast.
    Oh, habe ich das gerade wirklich geschrieben?
    Welch bösartige Unterstellung von mir. Das würdest Du doch nie tun!
    Oder?
    😉

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